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Akademische Feier an der Karlsruher Musikhochschule/ Musik "nicht Mittel zum Zweck"

| Christine Gehringer | PAMINA kurz notiert

Die „Karlsruher Rede“ war bis vor kurzem das Herzstück der Akademischen Feier an der Karlsruher Musikhochschule. Jetzt hielt man die Eröffnung des Wintersemesters etwas kürzer und familiärer: Die Absolventen der Hochschule erhielten einen würdigen Rahmen für ihre Verabschiedung, traditionell mitgestaltet von Studierenden der verschiedensten Fächer – etwa mit einem Stück für Vibraphon und Zuspielband („Chromatic Love“, gespielt von Minoru Saito), oder mit Maine Takeda (Sopran) und Martin Dajka (Trompete) in einer reduzierten Fassung von Bachs „Jauchzet Gott in allen Landen“. Dazu zwei Préludes von Claude Débussy (Klavier: Masaya Kamei) und schließlich, dies war ein Höhepunkt, das Scherzo aus der „Petite Symphonie für Bläsernonett“ von Charles Gounod.

Im Rahmen der „Staffelstab-Übergabe“ des Arztes Norbert Holstein (zugleich Lehrbeauftragter an der Musikhochschule) an seine Nachfolgerin Petra Vöhringer erfuhr man erstmals auch vom Stellenwert der Musikermedizin: Denn während Hochleistungssportler selbstverständlich ihre Physiotherapeuten hätten, seien solche Themen bei Musikern lange ein Tabu gewesen, so Holstein. Das Verständnis für bestimmte Schäden und Erkrankungen und deren Vorbeugung müsse jedoch in den Lehralltag mit einbezogen werden.
Maria Stange, Professorin für Harfe und Vorsitzende des Alumnivereins, verwies auf die Wichtigkeit des gegenseitigen Austauschs von Studierenden und von Musikern, die bereits im Berufsleben stehen. Während man seitens des AStA allerdings in der Vergangenheit schon pfiffige, witzige und auch provokante Reden gehört hat, beschränkte sich Veronika Reutz Drobnić diesmal auf praktische Hinweise an die Studierenden.

Dass auch das Nachdenken über Musik zur Kunst gehört, das verdeutlichte Felix Horn (Bachelor Musikinformatik/ Musikwissenschaft) anhand des Stücks „NoaNoa“ für Flöte und Live-Elektronik der kürzlich verstorbenen Komponistin Kaija Saariaho (gespielt von Henrike Fröhlich): „Unauslöschbar“ mit dem Werk verbunden, so die Überlegung, seien die Dinge, die man nicht sehen könne: etwa die Biografie eines Komponisten, die Beziehung zu anderen Musikern (beim Komponieren für ein bestimmtes Solo-Instrument) oder der so genannte „Elefant im Raum“. Das ist in diesem Fall der Werktitel, und er ist angelehnt an die Bilder von Paul Gauguin, konkret an seine Erzählung über seinen Aufenthalt in Tahiti – eine freilich romantisierte Darstellung. Ohnehin sieht man den Künstler vor dem Hintergrund des Kolonialismus und den Debatten um kulturelle Aneignung mittlerweile kritisch.
Und so fragt sich am Ende der Musikwissenschaftler: „Was macht das Werk zu dem Werk, das es ist“?

Doch nicht nur die Ergebnisse aus dem Hochschulalltag, sondern auch Kritisches und Nachdenkenswertes zum Musikbetrieb gehören traditionell zur Feier. Im Stile der bisherigen Karlsruher Rede gab Evelyn Meining, die Vorsitzende des Hochschulrats, unter dem Motto „Zwischen Dogma und Freiheit: Musik als Beruf in unserer sich verändernden Gesellschaft“ einige hoch interessante Anregungen für eine größere Debatte. Es reiche heute nicht mehr aus, so Meining, mindestens zehn romantische Violinkonzerte auf Top-Niveau spielen zu können oder die wichtigsten Opernpartien zu beherrschen; ohnehin seien Festanstellungen inzwischen eher eine Rarität.

Doch eines unterscheide junge Musiker bereits zu Studienbeginn von ihren Altersgenossen: Sie seien „voll und ganz“ mit Musik beschäftigt. „Mit Ihnen muss niemand über das verflixte Wort ‚Work-Life-Balance‘ diskutieren". Der Musikerberuf richte sich nicht nach „vorgestanzten Wochenarbeitsstunden“. Und: „Sie müssen sich nicht auf Rollfeldern festkleben. Dass Sie nichts ökonomisch Verwertbares produzieren – gerade das macht Sie unverzichtbar, denn Sie nähren Herz und Verstand“.
Evelyn Meining ermutigte die Studierenden, sich auch in der „freien Szene“ umzusehen und nannte als besonders leidenschaftliches und kreatives Projekt das „Junge Kollektiv Musiktheater“, das jedes Jahr im Sommer ein Stück auf die Bühne bringt und dieses dabei meist gründlich gegen den Strich bürstet.

Doch das Wesentliche sei, sich der Verantwortung gegenüber den Werken bewusst zu werden, der Tradition von Bach, Mozart oder Beethoven – und sich nicht von den gegenwärtigen Diskussionen etwa um alte weiße Männer instrumentalisieren zu lassen. Nichts sei wirksamer als die Musik selbst – doch heute werde Kunst vielfach als Mittel zum Zweck angesehen, was auch bei der Vergabe der Fördermittel eine Rolle spiele. „Zu allem soll Musik heute einen Beitrag leisten“ – so etwa zu Themen wie Nachhaltigkeit und (Anti-)Diskrimierung. Doch Künstler seien keine „Erfüllungsgehilfen“, und überdies müsse man sich fragen, wo denn die Grenze zum Dogma überschritten sei und wo daraus eine Ideologie werde, die letztlich in die Intoleranz führe. Dabei verwies sie auf ein Zitat von Wolfgang Rihm: „Wenn es eine Tradition gibt, der ich mich angehörig fühle, so ist es diese: Kunst als Freiheit zu verstehen, aus Freiheit entstanden und zu Freiheit verpflichtend.“

Matthias Wiegandt, Rektor der Musikhochschule, ergänzte, dass man heute am Beginn des Studiums nicht mehr von einem „Lebensentwurf“ sprechen könne und verwies darauf, dass viele vermeintlich sichere Berufe durch KI herausgefordert würden. Er betonte jedoch das allgemeine Bedürfnis nach Kunst und Kultur und nannte es verwerflich, dass heutzutage (so beispielsweise auch im Journalismus) eine „Tendenz zur Vereinfachung“ der Inhalte bestehe.  Er erklärte: „Die Hochschule widersetzt sich ganz klar dieser Tendenz.“ Am Ende richtete er noch einen Appell an die Gäste: „Bestärken Sie das Interesse bei Ihrem Nachwuchs!“